Das Erfolgs-Mindset unserer westlichen Kultur
Wer Erfolg haben möchte, wird in unserer westlichen Kultur oft mit einem ganz klaren Ansatz konftrontiert:
Deine Gedanken bestimmen deine Gefühle.
Deine Gefühle beeinflussen dein Handeln.
Und dein Handeln bestimmt dein Schicksal.
Das klingt nach einem sehr logischen Ansatz, oder? Seit meiner Jugend hat mich dieser Ansatz sehr stark geprägt. Zudem habe ich viele gute Erfahrungen mit Affirmationen gemacht und bemerke immer einen großen Unterschied in meinem Verhalten, wenn mein Mindset positiv ausgerichtet ist. In diesen Momenten fühle ich mich sehr selbstbewusst und habe das Gefühl, alles schaffen zu können. Dennoch sind wir alle Menschen und erleben unweigerlich Phasen, in denen negative Gedanken und Emotionen unser positives Mindset ins Wanken bringen. Es ist verständlich, dass wir uns in solchen Zeiten wünschen, den Kreislauf der negativen Gedanken zu durchbrechen, um schnell wieder zu einem positiven Mindset zurückzufinden.
Was geschieht, wenn negative Gedanken das positive Mindset vorübergehend aus der Balance bringen?
Als ich einmal an einem Workshop teilnahm, fühlte ich mich mit jeder vergehenden Stunde schlechter. Meine Brust zog sich zusammen, meine Stirn bildete Falten, und ich war unruhig und aufgewühlt. Ich spürte, dass mich etwas getriggert hatte, konnte es aber nicht genau benennen. Während ich meine Gedanken beobachtete, stellte ich fest, dass ich in einem Strudel negativer Gedanken gefangen war, den ich unbedingt loswerden wollte.
Schließlich leitete die Workshop-Leiterin eine Übung an, die sich auf unsere Ressourcen und Kraftquellen konzentrierte. Ich dachte, das würde mir helfen, die negativen Gedanken durch positive zu ersetzen. Doch zu meinem Frust stellte ich fest, dass mein innerer Widerstand so groß war, dass ich am liebsten den Workshop verlassen hätte. In meinem Zustand war es unmöglich, an etwas Positives zu denken, geschweige denn an meine Ressourcen oder Fähigkeiten.
In diesem Moment erkannte ich eine wichtige Sache:
Wenn negative Gedanken und Emotionen so stark sind, kann man sie nicht einfach verdrängen oder durch positive ersetzen. Der Körper wehrt sich dagegen, und die Emotionen wollen wahrgenommen werden!
Der Druck, stets ein positives Mindsets zu bewahren, kann belastend sein
Weil wir stark von der Idee geprägt sind, dass das richtige Mindset entscheidend für den Erfolg ist, lastet ein erheblicher Druck auf uns. Ich zumindest ertappe mich oft dabei, dass ich negative Gedanken oder Selbstzweifel sofort wegdrücken möchte. Dann habe ich das Gefühl, dass mein Mindset so falsch ausgerichtet ist, dass ich meinen Erfolg gefährde.
Diese strenge Denkweise kann erheblichen Druck erzeugen, sodass man Angst bekommt, sobald negative Gedanken auftauchen. Dies kann zu weiteren Blockaden führen und in eine Abwärtsspirale des Selbstzweifels münden.
Im Morita-Ansatz kommt das Handeln zuerst
Interessanterweise hatte ich nur wenige Tage vor dem Workshop von der japanischen Morita-Therapie gelesen, die 1919 von Shoma Morita entwickelt wurde. Diese Denkweise funktioniert im Grunde genommen genau umgekehrt:
Gefühle ändern sich unter dem Einfluss des Handelns.
Im Mittelpunkt steht die Akzeptanz der Gefühle, anstatt zwanghaft negative Gedanken und Gefühle durch positive zu ersetzen. Morita veranschaulicht dies mit einem treffenden Bild:
Bindet man einen Esel an eine Straßenlaterne, läuft er trotzdem weiter, weil er entkommen will. Zwangsläufig dreht er sich dabei im Kreis. Ist er schließlich direkt an der Laterne angelangt, kann er sich überhaupt nicht mehr bewegen. Das Gleiche passiert uns Menschen, wenn uns immer wiederkehrende, obsessive Gedanken quälen und wir versuchen, sie mittels anderer Gedanken zu stoppen.1
Wenn wir negative Emotionen verspüren, ist das völlig in Ordnung. Auch wenn sie herausfordernd sein mögen, haben sie ihre Berechtigung. Irgendetwas hat sie ausgelöst, und das möchte wahrgenommen werden.
Was also tun mit den negativen Gedanken?
Statt sich zwanghaft positive Gedanken einzuprügeln, ist es möglicherweise hilfreich, sich mit den negativen Gedanken auseinanderzusetzen und daraus Handlungen abzuleiten. Dabei können verschiedene Ansätze hilfreich sein. Vielleicht möchten sich die Gedanken und Emotionen durch kreative Aktivitäten entfalten, oder es bedarf Bewegung oder einer herausfordernden sportlichen Betätigung. Es könnte aber auch sein, dass etwas ganz Anderes benötigt wird, wenn du die Emotionen direkt danach fragst.
Du wirst feststellen, dass das Handeln dann automatisch Einfluss auf deine Gefühle nehmen wird. Sei dabei achtsam und beobachte die Veränderungen.
Für mich persönlich war es eine enorme Erleichterung zu akzeptieren, dass ich nicht jeden negativen Gedanken sofort durch einen positiven ersetzen muss, um mein grundsätzlich positives Mindset zu bewahren. Das Handeln wird automatisch wieder in die richtige Richtung führen, und es fühlt sich direkt freier, natürlicher und annehmender an.
Abschließend möchte ich betonen, dass ich viele Mindset-Übungen, einschließlich Affirmationen, für sehr wertvoll halte, wenn sie aus einem emotional stabilen Zustand heraus durchgeführt werden. Wenn jedoch die Emotionen hochkochen und man sich nicht gut fühlt, ist es wichtig, zunächst andere Schritte einzuleiten – wie Akzeptanz, Handlung und Perspektivwechsel. Erst danach kann man wieder das Mindset ausrichten. Es geht Hand in Hand, und ich möchte den Druck nehmen, der oft entsteht, wenn negative Emotionen das Mindset zu bedrohen scheinen.
Fußnoten
- Francesc Miralles & Héctor García, Ikigai – Gesund und glücklich hundert werden